Manipulation von Schutzeinrichtungen – Signal für ein mangelhaftes Schutzkonzept?

Umfrage auf der Betreiberseite

Das Thema „Manipulation von Schutzeinrichtungen“ ist eines der zentralen Themen, wenn es um Schadenprävention geht. Es gibt viele Studien, Fachartikel und Analysen aus Befragungen, mit denen insbesondere die deutschen gesetzlichen Unfallversicherungsverbände (DGUV) den Ursachen auf den Grund gehen möchten.

Eines der wahrscheinlich umfangreichsten Ausarbeitungen ist hierbei die Studie zur Manipulation von Schutzeinrichtungen an Maschinen aus den Jahren 2004-2005 die im HVBG-Report 2006 (Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften) veröffentlicht wurden. Darin wurden fast 1.000 Mitarbeiter in Betrieben und Aufsichtspersonen zu dem Thema befragt. Eines der zentralen Ergebnisse war, dass 37 % aller Schutzeinrichtungen ständig oder vorübergehend manipuliert sind und ca. 25 % aller Arbeitsunfälle an Maschinen darauf zurückzuführen sind.

Von Anfang 2020 bis Oktober 2022 erfolgte eine Wiederholung der Befragung durch das Institut für Arbeitsschutz (IFA) und die DGUV, dabei kamen 840 Rückantworten, davon nahmen insgesamt 87 % Sicherheitsfachkräfte und -beauftragte Teil. Aus dieser repräsentativen Umfrage kam heraus, dass die Manipulationshäufigkeit um ca. 10 % geringer ist als noch vor 18 Jahren. Diese Entwicklung ist sehr positiv, analysiert man die Ergebnisse im Detail, fällt auf, dass der Rückgang insbesondere bei Großunternehmen stattfindet, was auf eine gute Präventionsarbeit und eine gesteigertes Risikobewusstsein gegenüber Manipulationen zurückzuführen ist.

Durchsucht man die einschlägigen Internetseiten der Unfallversicherungsverbände, findet man eine Vielzahl an Präventionsmedien, die sich mit der Manipulation befassen. In der Schweiz geht man hier noch einen Schritt weiter und stellt die Manipulation sogar unter Strafe.

Dennoch fällt bei allen Ausarbeitungen auf, dass die Manipulationsverhinderungsmaßnahmen hauptsächlich im Rahmen der Verhaltensprävention liegen.  Natürlich ist die Hauptursache für Unfälle entweder Zeitdruck oder Unachtsamkeit. Oft kommen Aussagen wie: „Haben wir immer schon so gemacht“, oder „Das muss man bei der Maschine so machen, sonst läuft sie nicht!“. Natürlich spielt auch der Vorgesetzte eine sehr große Rolle. Wird der Mitarbeiter für seine „Manipulation“ noch gelobt, weil es schneller geht, oder wird Druck ausgeübt, falls die Stillstände an den Maschinen zu groß sind, entsteht eine umso größere Gefahr. Ideal wäre natürlich, wenn wir nicht nur mit verhaltensbezogenen Maßnahmen diese Manipulation verhindern können, sondern schon bei der technischen Auslegung auf genau diese Aspekte mit eingehen würden.

Woher kommt überhaupt Zeitdruck?

Das Thema Manipulation finden wir in nahezu jeder Branche, aber warum? – Man kann das Thema eigentlich auf einen Nenner schaffen, immer wenn hohe Stückzahlen immer günstiger produziert werden müssen, dann müssen auch Störungen und Stillstände auf ein Minimum reduziert werden.

Um das Thema etwas klarer darstellen zu können, macht ein Ausflug in die Geschichte der Produktion Sinn. Ein gutes Beispiel ist vielleicht die Herstellung eines Wagenrades. Hierzu benötigt man den Radreifen, die Speichen und die Radnabe.

Ursprünglich gab es hierfür einen Handwerksmeister, der in seiner Werkstatt zuerst alle Einzelteile nacheinander herstellt durch Sägen, Hobeln, Bohren und Einpassen, um schlussendlich alle Teile zusammenzufügen. Diese Art der Produktion nennt sich Werkstattfertigung. Der Vorteil ist, man braucht nur einfache Werkzeuge und Maschinen, die Arbeitsinhalte sind sehr abwechslungsreich und sehr viel Fachwissen und Geschicklichkeit ist notwendig. Das ist heute im Handwerk noch der Fall, allerdings ist die Herstellung sehr langsam und meist auch sehr teuer.

Nehmen wir denn Fall an, die Nachfrage an Wagenrädern steigt, daher muss die Herstellung auch schneller gehen. Das erreicht man, indem dann beispielsweise die einzelnen Komponenten, also Radreifen, Speichen und Radnabe an verschiedenen Arbeitsplätzen gleichzeitig hergestellt werden und die Montage am Ende an einem weiteren Arbeitsplatz stattfindet, dies nennt man Punktfertigung. Man benötigt für die Herstellung eines Wagenrades nur noch ein Viertel der Zeit, dazu sind allerdings insgesamt vier Arbeitsplätze notwendig. Der Spezialisierungsgrad an den einzelnen Arbeitsplätzen wird größer, die Arbeitsinhalte nehmen ab, man braucht nicht mehr diesen Umfang an Fachwissen und Geschicklichkeit als beim ursprünglichen Handwerk. Die Herstellung wird somit schneller und auch billiger.

Nehmen wir nun an, die Nachfrage an Wagenrädern wird noch größer, also muss dann die Fertigung noch schneller gehen. Also werden folglich die Arbeitsschritte weiter aufgeteilt. Bei der Radnabe wird dann beispielsweise am Ersten Arbeitsplatz nur noch gesägt, am Zweiten dann gehobelt und am Dritten gebohrt. Vorteil, man kann ein Vielfaches an Wagenrädern herstellen, allerdings wird die Arbeit dann monoton.

Irgendwann kam dann jemand (Henry Ford, 1913) auf die Idee, wir machen die Arbeitsschritte so kleinteilig und stellen ein Fließband zwischen die jeweiligen Arbeitsplätze und die Fließfertigung war geboren. Jetzt kam zu der monotonen Tätigkeit (nur noch Bohren) ein weiterer Faktor dazu und zwar der Zeitdruck, Akkord und vor Allem die durch das Fließband fremdbestimmten Arbeitsabläufe.

Heutzutage ist es gängige Praxis, im Rahmen eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses die ständige Optimierung und Automatisierung mit Hilfe von neuen Technologien der einzelnen Arbeitsplätze durchzuführen.

Natürlich werden in diesem Zuge auch die Stillstandszeiten genau untersucht. Das führt oft zu einem zusätzlichen Zeitdruck, da Wartung und Störung meist unerwartet passiert, aber ist das wirklich so?

Wann passieren Manipulationen

Auf die Frage, wann passieren die meisten Arbeitsunfälle an Maschinen, wird jeder, der in der Produktion arbeitet, darauf umgehend die Antwort geben – natürlich immer kurz vor der Pause oder kurz vor Feierabend.  Dazu gibt es zwar keine repräsentative Statistik, die herangezogen werden kann, sondern nur ein Bauchgefühl, aber ja es ist so. Vielleicht kann ja daraus auch ein technischer Grund herabgeleitet werden.

Zur Schichtübergabe gibt es meist eine gewisse Prozedur, die auch eine Art präventive Wartung beinhaltet, danach laufen Maschinen meist reibungslos, bis auf kleine Eingriffe (beispielsweise das Nachfüllen von Anbauteilen in einer Automatisierung oder ähnliches). Sind diese Eingriffe aufgrund des Schutzkonzeptes arbeitsintensiver, benötigen sie auch mehr Zeit, das führt natürlich auch dazu, dass insbesondere vor den Pausen, als auch am Schichtende die Manipulationsgefahr steigt.

Wenn wir als Beispiel eine voll automatisierte Fertigungslinie in der Kunststoffspritzgussteilefertigung betrachten, dann besteht diese meist aus vielen einzelnen Maschinen mit vielen Wartungszugängen und vielen Hauptschaltern. Befindet sich darin ein Gerät, das immer wieder verstopft, wie beispielsweise eine Angussmühle, so ist die Gefahr der Manipulation besonders groß.

Maschinen, die in Europa in Verkehr gebracht werden dürfen nie automatisch wieder anlaufen. Öffnet der Mitarbeiter zum Reinigen der Angussmühle nun die normale Schutztür, muss er an jeder einzelnen Teilmaschine die Störung quittieren und die Maschine wieder anfahren. Diese Prozedur kann dann bis zu 15 Minuten dauern, während der eigentliche Eingriff in die Maschine zum Reinigen der Angussmühle nur etwa 30 Sekunden in Anspruch nimmt. – Hier ist der Manipulationsanreiz besonders hoch, da dies unverhältnismäßig ist. Bei vielen Unternehmen werden kürzere Stillstandszeiten sogar noch von der Führungsebene belohnt. So hat der Mitarbeiter gleich zwei Anreize, zum einen verlängert sich seine Pause und zum anderen seht er sogar noch gut vor der Führungsebene gut da. An diesem Beispiel ist ersichtlich, das gelebte Sicherheit im Unternehmen nur möglich ist, wenn dieser in der Führungsebene verinnerlicht wird.

Verhaltensbezogene Maßnahmen gegenüber technischen Lösungen

Arbeitsschutz und Prävention werden in einem Produktionsunternehmen meist über verhaltensbezogene Maßnahmen und Unterweisungen umgesetzt. Dies ist bereits in ganz vielen Betrieben ein integraler Bestandteil der Unternehmensphilosophie und hat auch in den letzten Jahren zu einem signifikanten Rückgang der Unfallzahlen geführt. Betrachtet man die Zahlen aus der Unfallstatistik der DGUV  schwankt aber die Anzahl der tödlichen Arbeitsunfälle in den letzten Jahren nur sehr gering.

Innerhalb des jährlich erscheinenden Berichts wird das Unfallgeschehen sehr genau betrachtet, dabei entstehen ca. 25 % der tödlichen Arbeitsunfälle während Instandhaltungstätigkeiten, wobei davon 40 % durch Verletzungen an laufenden Maschinen passieren.

Nachdem Maschinen im Regelfall gegen das direkte Erreichen der Gefahrenstellen sehr gut gesichert sind, kann davon ausgegangen werden, dass in jedem dieser Fälle die Schutzeinrichtung manipuliert wurde.

CE-Kennzeichen

Maschinen erhalten das CE-Kennzeichen, wichtig dabei ist zu wissen, dass es sich hierbei um ein reines Verwaltungskennzeichen handelt, das nur nachweist, das die grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen der Maschinenrichtlinie eingehalten wurden. Das bedeutet noch lange nicht, dass die Maschine auch wirklich sicher ist.

Was oft auch übersehen wird ist, dass man als durch das Zusammenstellen von Maschinen selbst zum Hersteller wird und insbesondere die Schnittstellen betrachten muss. Genau an diesen Schnittstellen entstehen oft sicherheitstechnische Probleme, die genauer betrachtet werden müssen.

Maschinenhersteller betrachten ihre Produkte nur innerhalb der vorgegebenen Grenzen und nicht das Zusammenspiel mit Robotern oder Förderbändern oder anderen Maschinen.

Neue Maschinenverordnung

Aus der bisherigen Maschinenrichtlinie wird nun die Maschinenverordnung. Die neue Maschinenverordnung 2023/1230 wurden am 14. Juni 2023 veröffentlicht und bereits eine Woche später schon wieder berichtigt, da sich anscheinend die Ersteller mit den Terminen um eine Woche verrechnet hatte, somit tritt sie ab dem 20. Januar 2027 übergangslos in Kraft.  Auch hier ist weiterhin der Fokus auf die reinen technischen Lösungen.

Die CE-Kennzeichnung bleibt weiterhin ein Verwaltungskennzeichen und die grundlegenden Sicherheit- und Gesundheitsschutzanforderungen befinden sich nun nicht mehr im Anhang I, sondern im Anhang III. Ansonsten sind es eher Änderungen im Detail, die das Verfahren nicht signifikant ändern, bzw. im allgemeinen Arbeitsschutz für das System keine wesentlichen Auswirkungen haben. Wesentlich ist nur, dass dies nun eine Verordnung ist und keine Richtlinie und somit in Europa einheitlich gilt.

Was bedeutet dies nun im Detail für die Gefährdungen durch die Manipulation von Schutzeinrichtungen?

Die starke Abgrenzung zwischen den Herstelleranforderungen und der Betreibersicherheit ist weiterhin vorhanden. Somit wird der Hersteller einer Maschine immer innerhalb der Grenzen seines Produktes die grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen erfüllen, bzw. technische Lösungen finden, um Gefahren hinreichend zu minimieren.

Er ist allerdings nicht verpflichtet dies in dem zukünftigen Arbeitsumfeld seiner Maschine zu tun. Das verlangt bei uns aktuell nur die Betriebssicherheitsverordnung, die beschreibt, dass mit der Gefährdungsbeurteilung bereits schon vor Investitionsentscheidung begonnen werden sollte.

Zudem ist es sehr oft der Fall, dass ein Betreiber plötzlich zum Hersteller von Maschinen wird, indem er Anlagen miteinander verkettet und somit eine Gesamtheit von Maschinen erstellt. Darin sind dann auch die Schnittstellen nicht genau betrachtet.

Führt man diese beiden Aspekte zusammen entstehen bei der Inbetriebnahme oder im übelsten Fall nach einem Arbeitsunfall durch Manipulation von Schutzeinrichtungen große Diskussionen sowohl intern, als auch mit dem Hersteller der Maschine. Dabei kann die Schuldfrage nicht eindeutig geklärt werden und des entstehen nur verhaltensbasierte Maßnahmen, die genau bis zum nächsten Unfall durch Manipulation von Schutzeinrichtungen bestand haben.

An welcher Stelle genau werden die Schutzeinrichtungen manipuliert?

Durchleuchtet man das Thema näher sieht man auch, dass es sich sehr oft um komplexe Ursachen handelt, die nicht mit einer Schnellschussmaßnahme aus der Welt zu schaffen sind. Sieht man sich das System genauer an, fällt auf, dass die Schutzzäune immer genau an den Schnittstellen der Verkettung manipuliert werden. Diese Schnittstellen werden oft nur halbherzig im Schutzkonzept mit betrachtet und einfach ein Zaun davorgestellt. Dabei entsteht hier genau der Produktionsstau oder ist ein wartungsintensiver Bereich, steht nun ein Hindernis (Schutzzaun) davor und ist der Wiederanlaufprozess der Maschine sehr aufwändig, ist es nur eine Frage der Zeit, bis dieses Hindernis umgangen oder manipuliert wird.

Zusammenfassung

In Prinzip kann davon ausgegangen werden, dass mehr als ein Drittel aller Schutzeinrichtungen manipuliert werden, egal in welcher Branche. Zeitdruck oder zu umständliches Wiedereinschalten ist ein wesentlicher Faktor, dass diese Manipulationen erfolgen. Grund für die Manipulation der Schutzeinrichtung ist meist, dass dieser ein Hindernis darstellt, um an einen wartungsintensiven Bereich zu kommen.

Versucht man bereits im Vorfeld eine Kooperation zwischen Arbeitsschutz und Maschinensicherheit herzustellen, indem sich Betreiber und Hersteller über ein ganzheitliches Sicherheitskonzept unterhalten und auch insbesondere die Schnittstellen im Detail betrachten, sind auch im Nachgang keine verhaltensbasierten Schnellschussmaßnahmen erforderlich und es kommt zu keiner Manipulation von Schutzeinrichtungen.

Wenn Sie interessiert sind und noch Fragen haben, stehen wir Ihnen gerne mit unserem Fachwissen zur Seite.

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